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Germany South to North

Am 10.07.2010 erreichte ich mit 4 großen blauen Taschen, in denen meine gesamte Ausrüstung verstaut war, den Bahnhof in Lindau am Bodensee. Es war ein brennend heißer Sommertag, was ich jedoch so richtig erst beim Aussteigen merkte, denn die Bahn war gut klimatisiert gewesen – fast schon zu gut. Ein leichtes Kratzen im Hals sorgte mich; kurz vor der Tour wollte ich mich wegen der dämlichen Klimaanlage sicherlich nicht erkälten.
Im Lagerhaus des Lindauer Kanuclubs wartete bereits ein Marlin aus HTP, gesponsort von der renommierten Firma PRIJON. Vielen herzlichen Dank dafür. Ich kann vorweg nehmen, dass mir das Boot sehr, sehr gute Dienste leistete – und dies schreibe ich ganz sicher nicht nur, weil PRIJON mich unterstützte. Während der nächsten vier Wochen sollte das Kajak einen Belastungstest nach dem anderen aushalten, es wurde regelrecht malträtiert, ganze Späne aus dem Rumpf gehobelt… es sah nach vier Wochen aus wie nach 15 Jahren normaler Belastung. Das es nicht Leck schlug, spricht für das Material; dass ich ohne Probleme ohne Steueranlage fahren konnte, für das Modell.

Ich zeltete das Wochenende auf dem Gelände des Lindauer Kanuclubs, wo ich sehr herzlich empfangen wurde – auch hier noch einmal ein herzliches Dankeschön an den ganzen Club.

Die Tour sollte nicht nur ein reiner Ego-Trip werden, auch wenn dies sportlich orientierte Expeditionen im eigentlichen immer sind. Um dies etwas zu entkräften wollte ich mit der Deutschlandtour auf die Umweltorganisation Sea Shepherd aufmerksam machen, welche 2010 eine Vereinigung in Deutschland gegründet hat. Mir erschien diese Kombination als passend.

Als ich dann am 12.07.2010 startete ahnte ich noch nicht, wie wichtig mir die Umweltbotschaft noch werden würde. Während der Tour, wo man ja mehr als genug Zeit zum nachdenken und sinnieren hat, kann man durchaus mal seinen Fokus ändern. Meiner tendierte immer mehr in Richtung „guter Zweck“. So versuchte ich jedes Gespräch, dass ich während der Tour führte, sei es nun mit der Presse oder Passanten mit denen man ins Gespräch kam, in Richtung Umweltschutz zu lenken. Dass am Heck des Kajaks die Fahne Sea Shepherds flatterte war natürlich ein guter Aufhänger.

 

Bei dieser Tour machte ich so gut wie keine Fotos und keine Filmaufnahmen. Es kam bei keiner Tour mehr darauf an einen Rekord zu fahren. So hielt ich selten zum Mittagessen am Ufer, meist war es ein Müsliriegel aus der Tagesluke. So fuhr ich von Morgens bis zum Abend, im Schnitt 12 Stunden am Tag. Aber natürlich kann man noch genügend von der Landschaft genießen. Dies Strecke bis zum Ruhrgebiet behalte ich mein Leben lang als ausnehmend schön in Erinnerung – ein herrliches Paddeln war das. Die ersten Tage waren hart, zuerst brannte die Sonne mit weit über 30 Grad und setzt mich gleich am ersten Tag über Mittag außer Gefecht. Nach dem Start von Lindau aus legte ich gut los, merkte dann aber, wie mir zunehmend komischer wurde. Ich fuhr an Land und machte einen fast dreistündigen Mittagsschlaf. Als mein Kreislauf wieder stabiler war aß ich etwas und fuhr die Reststrecke des Bodensee bis zur Mündung in den Rhein. Gegen Abend dann fing ein Sommersturm an und schickte Böen in die Flussschneise, wie ich sie bis heute nicht erlebte. Ich bekam die Paddelblätter kaum nach vorn und als das Kajak sich quer zu den kleinen, harten Wellen drehte, fuhr ich das Land an. Ein aufregender, erster Tag war das. 
Die nächsten Tage waren ruhiger und brennend heiß. Ich versuchte im Schatten der am Ufer stehenden Bäume zu paddeln und freute mich über die Strömung. Leider war diese nicht sehr stark, oft durch Stauungen gar nicht erst vorhanden. Wenn der Rhein aber floss machte ich gute Fahrt und Freute mich über die satte, grüne Landschaft. Den Rheinfall musste ich umtragen, was mit Bootswagen auf den hügeligen Straßen eine dreistündige, schweißtreibende Schwerstarbeit war.
Die Landschaften zogen vorbei und ich erreichte einige Tage später durch die gute Strömung meine Tagesbestleistung von über 100 km am Tag. Besonders gern erinnere ich mich an eine Stelle, wo sich der Rhein teilte. Rechts lag eine 40 km lange Strecke, die komplett naturbelassen war, links floss der begradigte, von Schiffen befahrbare Rhein. Ich nahm die Mühe des Umtragens in Kauf und bekam eine Ahnung davon, wie schön Deutschland einmal gewesen sein muss. Es ist tragisch, wie sehr der Mensch das alles zerstörte. Durch kleine Stromschnellen, an Kiesbecken und einsamen Stränden vorbei ging die Fahrt. Ich hielt zum Essen an und gönnte mir den Spaß den Fluss etwas hoch zu gehen, in das klare Wasser zu springen und mich durch einige wilde Passagen, wie in einer Wildwasserbahn, treiben zu lassen.

Für einige Tage begleite mich eine Herrentruppe, die mit Fahrrädern den Rhein hoch fuhren. Sie fahren natürlich schneller, nahmen aber jeden Biergarten mit, starten später und kehrten früher in Hotels oder Raststätten ein. So überholten wir uns täglich mindestens zweimal und die Herren jubelten schon immer, wenn wir uns trafen.

Ab Mannheim wandelte sich die Strecke merklich – es wurde hässlich. Es wurde so derart trüb, dass es mich depressiv machte. Das Wetter war immer noch toll, aber nun fuhr ich durch unsere uns bekannten, deutschen Städte und mir erging es, wie es mir immer ergeht, wenn ich in Städte komme: es betrübt mich. Wie können Menschen nur freiwillig in so etwas leben? Wie können wir unsere Natur nur so vernichten, um immer noch etwas totes, kaltes irgendwo hinzubauen? Der Mensch ist wirklich ein schändliches Wesen.
Meine Strecke führte mich ab Duisburg über die Kanäle bis zum Mittellandkanal. Auf diesen Wasser-Autobahnen wollte ich letztendlich die Elbe und dann die Ostsee erreichen. Die Kanäle waren gar nicht so schlimm, wie man es sich vorstellt. Die Rheinpassagen durch die Ballungsräume waren viel schlimmer. Schlimm war, dass es nun keinerlei Strömung mehr gab und ich mir durch das hohe Tempo eine Muskelverhärtung im gesamten Rücken-Schulterbereich zuzog. Jeder Paddelschlag schmerzte – Stundenlang, jeden Tag. Ich konnte es nicht auskurieren, ich wollte vorwärts, wollte so schnell wie möglich Deutschland durchqueren, wollte einen Rekord aufstellen.

Meine Tagesleistungen brachen ein. Aber es langte um mit den Güterschiffen das Spiel, dass ich mit der Fahrrad-Herren-Gruppe spielte, fortzuführen. Überholte mich Nachmittags ein Schiff, überholte ich es am Abend wieder. Dann hatte es mich Tags darauf am Mittag, ich es wieder am Abend. Dann zog es am nächsten Morgen an mir vorbei und meist war es dann weg – bekam ich es am Abend doch noch mal war das ein Highlight. Die Spundwände waren oft eintönig, oft konnte man auch etwas Grün sehen, aber es blieb doch monoton. Die Spundwände hasste ich aus einem anderen Grund, aber aus tiefster Seele: Sie sind Todesfallen für Fische, Vögel, Bisamratten oder Frösche. Warum kann man keine Spalte einsetzen, die alle paar Meter die Flucht ermöglichen. Für Fische hingegen würde auch das nichts nützen, die Verdrängung der Schiffe reflektiert an den Wänden und schleudert die Fische unkontrolliert an Hindernisse.
Eine weitere spannende Erkenntnis hatte ich bei der Betrachtung der Brücken. Es gab während meiner Deutschlandreise so unfassbar viele Brücken, dass es wie ein schlechter Witz anmutet. Da stehen Brücken im Wert von Hunderttausenden, mitten im nirgendwo, für vielleicht zwei Spaziergänger am Tag – und zwar nicht ein paar Mal, sondern hundertfach. Ich rechnete mal etwas, Zeit hatte ich genug, und kam auf Millionenbeträge im Hunderterbereich, für völlig nutzlose Brücken. Und warum? – Weil Gemeinden, die Ihr Budget nicht ausnutzen, im Jahr darauf weniger zugesprochen bekommen ... ja, dass ist ein intelligentes System.
Nach über einer Woche erst hatte ich die Muskelverhärtung überstanden. Es war eine schlimme Zeit gewesen. Um so mehr freute ich mich auf die Ostsee, die ich bei nun etwas trüber werdendem Wetter erreichte. Ich befürchtete allerdings, meinen Zeitplan von 3 Wochen nicht schaffen zu würden. 

Als ich endlich auf die Ostsee fuhr war das wie eine Befreiung – es ist herrlich, wenn sich die Welt öffnet. Neu motiviert fuhr ich wieder sehr gute Tagesleistungen. Eine besondere Situation war dann zwei Tage vor dem Ziel, als ich gerade die Eckernförder Bucht querte. Ich bemerkte einen Helicopter, der über der Buch kreiste und irgendwann auch über mir. Kurz darauf erschienen zwei Boote der Küstenrettung, eines davon war riesig. Es drehte bei und an der Reling standen bereits eine Vielzahl Leute. Es wurde gefragt, ob alles in Ordnung sei. Ich bejahte. Dann erfuhr ich, dass wohl jemand einen Notruf führ mich absetzte. Das war mir natürlich unangenehm, aber nicht zu ändern. Also trennten wir uns alle und wünschten gute Fahrt. Natürlich meinte die Person es gut, aber nur weil ein Kajak auf dem Meer fährt gleich solch eine Aktion ist schon sehr übertrieben. Es gab zwar auch etwas Wind, auch etwas Platzregen an dem Tag, aber nichts ernstes. Außerdem bin ich der Meinung, dass jeder Sportler, der solch einen gefährlichen Sport betreibt, für sich selbst sorgen sollte. Dazu gehören eben auch SOS-Tracker, die man ja im Notfall eigenmächtig bedienen kann.

Ich erreichte Flensburg, an Deutschlands Nordgrenze, nach 1600 Kilometern und 27 Tagen. Ich hatte mein Ziel dann doch deutlich verpasst. Aber es ist ein Rekord, die erste Deutschlanddurchfahrt und ich bin noch heute stolz darauf, diese Leistung geschafft zu haben. Es war körperlich und mental eine harte Herausforderung. Besonders die Zeit der Muskelverhärtung war prägend, es zeigte mir, wie weit man sich selbst schinden kann. Mein Tagesschnitt lag bei 60 km am Tag.

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