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Wir sind nicht Charlie!

Am 7. Januar 2015 spielte sich inmitten Frankreichs ein Drama ab, wie es die Vorlage eines Action-Kinofilms hätte sein können. Einer der Sorte, die man sieht aber nicht wirklich glaubhaft findet.

Ein kleiner Trupp Al Qaida Jemen-Kämpfer stürmte die Redaktion des Magazins Charlie Hebdo, erschoss zuerst Hausmeister und Wachpersonal und löschte dann fast die gesamte Belegschaft aus. Die folgenden Stunden waren gefüllt von Straßenverfolgungsjagden, Schießereien, Geiselnahmen und endeten mit der Statistik von 12 Toten Zivilisten, 3 toten Terroristen und 20 teils schwer Verletzten. Die Menschen sind weltweit schockiert, und gehen zu hunderttausenden auf die Straße, treten für die Meinungsfreiheit ein und halten "Wir sind Charlie"-Plakate empor. 

Nun schreiben wir: "Wir sind nicht Charlie!" und außerdem sprechen wir die Worte, die die meisten Mitmenschen verachtenswert finden: "Selbst Schuld!"

Bevor wir das erläuteren, möchten wir unsere Provokation etwas abmildern und sagen, natürlich und selbstverständlich: Es tut uns um die Opfer leid und besonders um deren Familien und Freunde. Weit mehr tun uns die Opfer leid, die mit der Zeitschrift Charlie Hebdo nichts zu tun hatten. Nein, wir möchten diesen Terroranschlag nicht rechtfertigen und ja, die Reaktion der Terroristen war irrsinnig und vollkommen übertrieben. 

Nun kommt das Aber. Dieser Anschlag kam weder aus einem Affekt, noch unangekündigt, sondern ganz im Gegenteil: Er war mit Ansage und selbstverschuldet. Wir wiederholen: nicht gerechtfertigt, aber selbstverschuldet.

Schon vor Jahren provozierte das Magazin Charlie Hebdo mit ihren Zeichnungen über Mohammed, dem Propheten der Muslime. Weder folgten Entschuldigungen noch ein Bedauern, falls dadurch Mitmenschen verletzt oder diskriminiert würden. Ganz im Gegenteil wurde versucht, sich zu rechtfertigen und das Spiel jahrelang weitergespielt, selbst nachdem eben solch Terrorgruppierungen wie die Al Qaida ihren, nennen wir es einmal Unmut, formulierten.

Nun kann man sagen, es beweist Rückgrat, trotzdem weiterzumachen, die Meinungsfreiheit weiter auszuleben und sich nicht von solchen Fanatikern einschüchtern zu lassen. Genau dies ist aber zu simpel gedacht.

  • Wir reden nicht von subtiler Komik, oder feinsinniger Satire, sondern von plumpen, brachialen und schnell misszuverstehenden Zeichnungen.
  • Wir reden nicht von irgendeinem Politiker, sondern von einer Weltreligion, die den Lebensinhalt von Milliarden Menschen darstellt, deren Leitstern, deren Daseinsgrund, deren Triebfeder und deren Umrahmung ihres Universums. Wenn ich, als Redaktion, mich darüber lustig mache, ist es doch zu null Prozent verwunderlich, wenn ich die Menschen zutiefst verletze.
  • Satire lebt von Ironie und Übertreibung, von Spott und Zurschaustellung – dies sind Attribute, die nicht zu stark auf arme, zumeist eher ungebildetete Menschen angewendet werden dürfen. Die Gläubigen, die durch solch Form von Satire beleidigt werden sind zumeist nicht die östlichen Politiker oder religiösen Führer, sondern die Armen, die Bauern, die Hirten, die einfachen Arbeiter in arabischen Regionen – oder, im Fall Frankreichs, die Migranten aus sogenannten Unterschichten, Arbeitslose, Ungebildete, leicht Beeinflussbare.
  • Man darf seine Meinung äußern, aber in solcher Form, bei so delikaten, weltpolitisch sensiblen Themen, sollte man dies nicht tun. Es gehört sich nicht, es ist unpassend, niveaulos und reizt die Stimmung.
  • Genau dadurch gefährdet ein Magazin letztendlich das Leben von vollkommen unbeteiligten Menschen und torpediert eine vorsichtige Annäherung und jahrelange, diplomatische Vorarbeit, die nötig ist, um so unterschiedliche Kulturen in eine friedliche Zukunft zu führen. 
  • Selbstverständlich nutzen Terrornetzwerke solche Provokationen und reagieren darauf – anstatt den Menschen zu nutzen, heizen solche Provokationen die Moslems nur an und lassen sie eher mit Terroroisten sympathisieren, selbst wenn diese ISIS und ähnliche Wahnsinnige eigentlich ablehnen. Diese Provokationen spielen den Terroristen in die Karten.
  • Die Meinungsfreiheit ist ein sehr wichtiges Grundrecht. Aber es geht nicht um eine satirische Abhandlung über eine Steuererhöhung, sondern um Themen, die viele Menschen in ernste Gefahr bringen. Die Meinungsfreiheit, um die es hier geht, ist keine wissenschaftlich relevante Abhandlung, sondern primitive Comics – dafür Unschuldige zu gefährden ist fahrlässig und unverhältnismäßig.
  • Satire darf alles? – Nein, jede Publikation hat eine Verantwortung und wenn man bewusst die offene Konfrontation, aller Diplomatie zum Trotz, und trotz angedrohter Konsequenzen, sucht, muss man eben mit solch drastischer Reaktion rechnen.

Wir reden doch nicht von einem bösen Leserbrief, sondern von einer offenen Drohung eines der gefährlichsten Terrornetzwerke der Welt. Sollten halbgebildete Redakteure da nicht einmal in sich kehren und einlenken? Satiriker haben schnell und gern eine hochtrabende Haltung, tragen eine vordergründige Intelligenz zur Schau und beweihräuchern sich nur allzu gern selbst – das wirkt dann kultiviert und französisch aristokratisch. Wäre es nicht ratsamer gewesen, eine Sonderausgabe zu bringen, in der man etwas klüger und weniger polemisch und provokant einen Dialog einleitet? Wäre es nicht cleverer gewesen, die Muslime um Entschuldigung zu bitten aber trotzdem anzumerken, was man am Islam, aber vor allem am Islamismus, negativ findet?

Wie blind sind die Menschen? Wir selbst sind äußerst religionskritisch und behaupten, dass die Religionen für das meiste Leid der Menschheitsgeschichte verantwortlich sind und wir verurteilen den Glauben an sich, weil er uns erblinden und stagnieren lässt – aber man muss doch einen gläubigen Menschen respektieren und sollte einem Katholiken nicht sagen, dass sein Jesus ein wandernder Trickbetrüger war, der übers Land zog, die Menschen ausbeutete und anständig Wein soff. Nein, man kann anmerken, dass man die Wunder Jesu aus rationalen Gründen nicht glauben kann und das man eine wortwörtliche Auslegung aller Schriften allein schon aus zeithistorischen Gründen vermeiden sollte. 

Aber wer sich vor eine Gruppe nordamerikanischer White-Power-Neonazis stellt und behauptet, Jesus war nicht weiß, sondern ein halbschwarzer Aushilfszauberer, der darf sich nicht wundern, wenn er aus der Nummer nicht mehr heil rauskommt.

Charlie Hebdo hat sich dumm, reaktionär und wir behaupten einmal, auch der hohen Auflage wegen, ignorant und damit gemeingefährlich verhalten. Mit solcher Abwandlung von Meinungsfreiheit bringt man keinen Islamisten zum nachdenken, sondern man befeuert Hass und nährt eben solch Parteien wie Front National, die eine neue Fremdenfeindlichkeit propagieren (noch während wir diese Zeilen schrieben, ist genau das passiert, sie griffen prompt das Thema auf, was natürlich nicht schwer zu erraten war).

Unter all dieses Gesichtspunkten müssen wir sagen: Es ist schade um die Opfer und das Leid in deren Familien, tragisch, aber wir sind trotzdem nicht Charlie, denn wer sich so fahrlässig und diplomatiefeindlich verhält, trägt die Schuld an der Kluft zwischen den Völkern und das verachten wir zutiefst, denn ein paar tote Redakteure sind nichts gegen die Tausenden, die durch Terrornetzwerke sterben. Allein bei diesem Anschlag, der ganz bewusst provoziert wurde, starben Unschuldige. Wurden diese nun befragt, ob sie für die Meinungsfreiheit eines Magazins sterben wollen? Sollen die sich nun mal nicht so anstellen, da sich ja vielleicht, eventuell, irgendwo ein Islamist von Charlie Hebdo bekehren lässt? – Nein, wir haben hier eine hochtrabende Zeitschrift, die für eine elitäre, westliche Bevölkerung publiziert und rein gar nichts zur Völkerverständigung und zum Frieden beiträgt. 

Die Form wie unsere Kanzlerin und der Bundespräsidentenonkel sich nachfolgend dazu äußerten ist, mal wieder, ohne Weitsicht und brav der Bevölkerungsstimmung in den Lauf gespielt – keine klaren, umsichtigen und kritischen Worte, sondern hohles Geschwafel. Auch dies ist verachtenswert.

Wir sind Charlie? – nein!

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